Protagonisten der Schweizer Wohnkultur
Trix und Robert Haussmann bilden das international wohl bekannteste Architektenpaar der Schweiz.
Ihr gemeinsames Schaffen begann 1967 mit der Gründung des als «Allgemeine Entwurfsanstalt Zürich» bekannt gewordenen Büros, hinterfragte die Moderne und gestaltete die Bereiche Design, Innenarchitektur und Architektur neu. Robert Haussmann (*1931) unterrichtete in Zürich an der Kunstgewerbeschule, der ETH und an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, Trix Haussmann (*1933) ebenfalls an der ETH Zürich. 2013 wurden die beiden mit dem Grand Prix Design Schweiz geehrt. Julieta Schildknecht im Gespräch mit den Architekten anlässlich der Buchvernissage ihrer Monografie.
Auf der Suche nach einer neuen Moderne
Die umfangreiche Monografie «Trix und Robert Haussmann» in der Reihe Protagonisten der Schweizer Wohnkultur, erschienen im Verlag Scheidegger & Spiess, untersucht den Spannungsbogen zwischen der Anfangs- und Spätphase des Werks von Trix und Robert Haussmann und gibt anhand vertiefter Einblicke in einzelne Projekte Aufschlüsse darüber, wie die Haussmanns den gesellschaftlichen Wandel zwischen Ende der 1960er- und den 1980er-Jahren aufgenommen und umgesetzt haben, und sich dabei stets selber treu blieben. Die chronologische Abfolge ihres Schaffens wird mit zahlreichen Bildern und Dokumenten dargelegt, sodass die konträren Positionen nachvollziehbar und als Kontinuum verdeutlicht werden.
Robert Haussmann besuchte in den 1950er-Jahren die Innenausbauklasse an der Kunstgewerbeshule Zürich und wurde mit dem Kollektiv «Swiss Design» um Teo Jakob, Hans Eichenberger, Kurt Thut und Alfred Hablützel bis nach Amerika bekannt. Trix Haussmann, geborene Kellerborn-Högl, schloss 1963 ihr Architekturstudium an der ETH Zürich ab. An der Expo 64 kreuzten sich ihre Wege zum ersten Mal, und seither bilden sie privat wie beruflich eine unermüdliche Gemeinschaft. Zusammen gelang es ihnen, Ende der 1960er-Jahre die Konventionen der Moderne und des Werkbundes zu überwinden und mit dem «Manierismo critico» Anfang der 1980er-Jahre und darüber hinaus einen spielerischen, fliessenden und schlüssigen Schaffensweg zu verfolgen.
Julieta Schildknecht: Trix und Robert Haussmann, warum sind Ihre Werke eigentlich nicht unter Denkmalschutz?
Trix Haussmann: Die Da Capo Bar im Hauptbahhof Zürich ist unter Denkmalschutz. Die Kronenhalle-Bar in Zürich gehört zu den wenigen Projekten, die wie die ursprünglichen Projekte erhalten sind. Die Wohnung Brunner ist auch nach 44 Jahren, als sie für Madeleine und Max Brunner gestaltet wurde, gleich geblieben. Beide Innenräume sind nicht geschützt. Es ist schwierig, Arbeiten zu schützen, weil sie öfters verändert werden. Die Vorstellungen von verschiedenen Besitzern sind nicht immer gleich. Weltweit wechseln in der allgemeinen Rezeption Innenraum oder Innenarchitektur und selten wird etwas erhalten. Der Wert eines Hauses oder Gebäudes wird reduziert, wenn man nichts an der Substanz verändern darf. Die Einschränkung ist ein Wertverlust.
Robert Haussmann: Die Loos-Bar in Wien ist unter Denkmalschutz, aber nach vielen Veränderungen und es ist noch nicht so lange her. Während des Krieges war es sogar ein Bordell. Niemand hat sich darum gekümmert, wer Adolf Loos war.
Als ich über die Transformation von alter Substanz auf neue Substanz beim Museums-Quartier in Wien zu sprechen komme, antwortet Trix Haussmann: «Wir haben im Moment einen solchen Fall, wo junge Architekten ein altes Haus neu bauen wollen. Wir finden, dass man sogar in alten Gebäuden aus Details, die schon da sind, etwas Spannendes machen kann».
Robert Haussmann interveniert: «Kommerzielle Restaurants, Bars und Läden sind darauf angewiesen, sich immer neu zu zeigen. Selten wird der künstlerische Anteil, von denen, die diese Orte benützen, auch geschätzt. Es muss immer alles ganz aktuell bleiben. Selbstverständlich haben wir von solchen Projekten gelebt. Unsere Projekte, wie für eine Versicherung, oder andere Aufträge wie Läden, existieren nicht mehr. Entweder, weil das Haus abgerissen wurde oder die Besitzer geändert haben».
In der grossen Architektur- und Kunstbibliothek der Haussmanns in ihrem Büro mit Möbeln, die sie seit mehr als 50 Jahren haben, befindet sich auch ein Teil ihrer Kunstsammlung; Bilder und Skulpturen, meist von Schweizer Künstlern und Werke von Freunden, die damals nicht viel galten und heute teilweise einen Wert haben.
Für die aktuellen Möbelentwürfe brauchen Trix und Robert Haussmann etwa fünf bis acht Monate. Zusätzliche drei Monate werden für die Produktion von drei Möbeln gebraucht. Sie werden, anders als früher, registriert und gestempelt. Damals haben sie Möbeldesign produziert. Mittlerweile sind ihre neuesten Modelle zu Kunstwerken geworden. Die Kunstgalerie Heraldstreet in London stellt ihre Möbel aus. Dieser Zwischenbereich von Architektur und Kunst wurde erst seit kurzem erreicht, sagt Robert Haussmann.
RH:Früher haben wir uns primär mit Bau beschäftigt. Wir waren auf den kommerziellen Sektor konzentriert. Der Hauptbahnhof Zürich hat uns 10 Jahre lang beschäftigt.
TH: In Deutschland haben wir sehr viele Dinge gemacht. In der Innenstadt in Hamburg haben wir die Galleria gebaut. Das Grundstück ist 80 Meter lang. Es ist eine Passage, drei Bürohäuser hintereinander, im Erdgeschoss verbunden als durchgehende Ladenpassage, mit Unter- und Obergeschossen mit einem Hauptzugang. Alles in diesem Komplex wurde von uns beiden gestaltet.
Ist der Bau ein Teil des Manierismus?
RH: Man kann es schon als Manierismus denken.
TH: Klar. Der Glasvorhang, der flach ist, aber dreidimensional wirkt, es sind Zitate…
RH: Es bezieht sich auf ziemlich viele Beispiele die wir untersucht haben über bestehende…
TH: Von Palladio bis Paris, die verschiedenen Arkaden. Wir haben uns immer mit der Geschichte beschäftigt. Vor allem mit dem 15. Jahrhundert. Die Zeit des historischen Manierismus ist eine Zeit der Umbruchs, auch politisch. Das hat uns interessiert.
RH: Damals ist die Familie des Bauherren mit uns nach Italien gefahren. Wir haben zum Beispiel in Carrara den Stein ausgewählt. Es gibt selten Auftraggeber, die sich wirklich dafür interessieren. Für uns war es eine schöne Zusammenarbeit.
Was bedeutet die Manierismus-Zeit für Sie? Eine Zeit der Renaissance? Sie arbeiten hier mit Fassaden und Texturen, mit der visuellen Entdeckung. Wo liegt hier in Ihrem Bau das politische Verständnis?
TH: Wenn man in den historischen Manierismus zurückschaut, war es eine Zeit, in der es sehr viele politische Umwertungen gab. Ein bisschen wie bei uns. Alles ist in Bewegung. Unsere Diktatoren von heute sind Leute, die alles umkehren und die Welt in Aufruhr bringen. Die Künstler um das 15. Jahrhundert haben es im Bild transponiert. Sie waren keine Politiker. Wir sind auch keine Politiker, aber wir bringen etwas zum Ausdruck. Die Gesetze, die damalige Zeit, gelten nicht mehr. Giulio Romano zum Beispiel hat das alles in Frage gestellt. Er hat zwar auch Aufträge von reichen Leuten bekommen und hat sie ausgeführt, aber er hat dann immer noch etwas hineingebracht, was mehr ist als nur die Funktionserfüllung. Wenn er einen Bogen macht, hat er den Mittelstein herunterfallen lassen. Solche Dinge, die nicht stören, aber etwas Neues zeigen. Wir haben viele solcher Zitate aus der Erinnerung.
Wenn wir in die Seele des Einkaufszentrum schauen und die Art, wie Sie mit den Texturen arbeiten, verspielt, aber gediegen…
TH: Ja, es ist ernsthaft, aber es ist auch ein Spiel.
Würden Sie sagen, dass Manierismus bei Ihnen eine verspielte Art von Innenarchitektur ist?
RH: Verspielt?
TH: Eher eine Infragestellung der damaligen Gesetze, oder Nichtgesetze… was man so macht, dass man ausbricht, aus einem bestehenden Rahmen. Dass uns auch Freude gemacht hat. Insofern schon spielerisch, dass man Freude daran hat, etwas Neues herauszufinden.
Hat Manierismus eine parallele Interpretation zur Konkreten Kunst?
TH: Ich denke, dass Konkrete Kunst eher wie moderne Bauten von vorherigen Zeiten, eine Strenge herausbrachten…
RH: Von wem sprechen wir jetzt? Von Max Bill, Richard Lohse oder Camille Graeser oder den Zürchern? Camille Graeser war sehr verspielt, obwohl er sehr strenge Regeln bei seiner Arbeit einhielt. Genauer gesagt, sieht man mehr als Abstraktionen. Er arbeitete mit einem grossen Spektrum von Licht und wie bei Ihnen, mit verschieden Dimensionen.
TH: Je nachdem… Für uns war es hier mehr das Zitieren. Wir fanden Shopping Center allgemein abscheulich, das ist etwas, das uns nicht gefällt: den Leuten das Geld wegnehmen und keine weitere Ambitionen gegenüber den Konsumenten haben. Die haben einen kulturellen Überbau. Die Ordnung in den Läden der Shopping Center hat uns auch gefehlt. Wir sprechen hier von den 80er-Jahren. Das war eine andere Zeit als heute.
RH: Hier sind es ausgewählte bestimmende Beispiele, die uns inspiriert haben. Wir haben hier das Palladio-Motiv auf den Seitenwänden. Schwarz-weisse Musterung könnte man auch bringen. Es sind Beispiele, die wir ohne die Kunst- und Architekturgeschichte nicht hätten erfinden können. Wir versuchten immer, etwas reinzubringen, was vergessen ging. Von Manierismus ging sehr viel vergessen. Es wurde nicht mehr erkannt oder geübt, und in dieser Beziehung ist es voller Zitate, und es hat uns sehr viel Spass gemacht. Die drei Gebäude sind durch Innenhöfe getrennt, sodass die darunter liegende durchgehende Passage im Erdgeschoss sowohl Tageslicht wie Kunstlicht hat. Es stecken sehr viele rationale Überlegungen in diesem Bau. Da liegt der Unterschied zwischen Architekten und Künstlern. Wir haben uns nie als Künstler begriffen. Ein Architekt hat auch eine Pflichterfüllung. Die Funktionalität ist bei allem Widerspruch natürlich immer die Grundlage. Dieser Bau funktioniert als Shopping Center, aber wir haben eine andere Ansicht, wie das aussieht.
Ein Ort wo viele Leute Stunden verbringen…
TH: Anstatt Pflanzen haben wir uns für Ornamente aus Stein entschieden.
RH: Die Ornamente haben wir nicht erfunden, sondern gefunden, ein Beispiel von gemusterten Böden.
Die harmonische Balance von Proportionen zeigt sich durch die Geometrie von allen Details des Baus. Haben Sie immer mit viel Freiheit gearbeitet?
RH. Freiheit, in was man macht?
Entwürfe und Entscheidungen?
RH: Ja, wir haben sehr oft Dinge gemacht, die unsere Bauherren gar nicht bestellt haben. Das bekamen sie reingeschmuggelt. Hier ist es eine Ausnahme. Wir haben uns in Italien umgeschaut und vieles kannten sie von Brüssel oder von London. In der Regel wollen Bauherren einen Laden oder ein Bürohaus und nicht sehr viele Zutaten. Dass man aus dem Vollem schöpfen kann, wegen den Kosten, war kein Thema, aber es hat mehr Nerven und Liebe und mehr Einsatz gebraucht als ein kommerzieller Bau. Bei der Passage ist sehr viel von uns drin, von unseren Interessen.
TH: Ich denke, wir haben als Architekten immer die Funktionen erfüllt. Wenn wir einen Laden entworfen haben, dann sieht er vielleicht anders aus, als man es gewohnt ist, aber er hat funktioniert. Alles was notwendig war, war drin und es ist nichts Unbrauchbares. Ein Bauherr, der keine Ahnung von Kunstgeschichte hatte, konnte trotzdem darin seine Sachen verkaufen. Die Funktion ist die Basis dieser Arbeiten. Es ist wie die Pflicht und die Kür im Eislauf.
Marmor mit Stoffen…
RH: Das hat mich immer sehr interessiert, das Textile. In New York City haben wir einmal Stoffe auf Rohren bei der Eröffnung eines Hauses verwendet. Es war sehr stark in der Wirkung. Das war Mira X. Die Fassade für United Nations ist nur als Photomontage geblieben, weil es eigentlich eine Postkarte ist, die von Freunden geschickt wurde und nachträglich darauf von mir gemalt.
Robert Haussmanns aktuelle Werke sind kleine detaillierte schwarz-weiss Zeichnungen von Perspektiven und Licht. Trix Haussmann aktuelle Werke sind Silber-Schmuck, kleine Konkrete Kunst-Skulpturen, die man tragen kann.
(von oben: Fotos 1-3 © Julieta Schildknecht, Fotos 4-7 © Monografie Trix und Robert Haussmann, Scheidegger & Spiess).
Trix und Robert Haussmann
Protagonisten der Schweizer Wohnkultur
Auf der Suche nach einer neuen Moderne
Herausgegeben von Joan Billing und Samuel Eberli
Scheidegger & Spiess, Zürich 2019
Geb., 256 S., 92 farbige und 200 sw Abb.
23.5 x 32 cm
CHF 65. € 58.
ISBN 978-3-85881-561-3
Mit Beiträgen von Joan Billing & Samuel Eberli, J. Christoph Bürkle, Meret Ernst, Gabriela Güntert, Michael Hanak, Florian Haussmann, Claude Lichtenstein, Renate Menzi, Roland Merz, Juho Nyberg, Judith Raeber, Arthur Rüegg, Marko Sauer, Sabine Sträuli, Andrea Wiegelmann und Stefan Zwicky.
www.trixundroberthaussmann.ch